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Wie Dänemark die Interoperabilität im Gesundheitswesen gemeistert hat – und was Deutschland daraus lernen kann

  • Autorenbild: Julia van Holt
    Julia van Holt
  • 17. Juli
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 18. Juli

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Die Interoperabilitätskrise im europäischen Gesundheitswesen ist real. In ganz Europa kämpfen Gesundheitssysteme mit fragmentierten Patientendaten, was zu Ineffizienz, Sicherheitsrisiken und schlechten Nutzererfahrungen für medizinisches Personal und PatientInnen führt. Doch ein Land bildet die Ausnahme: Dänemark 🇩🇰


Mit einer nationalen eHealth-Strategie, der frühzeitigen Einführung von HL7 FHIR und einer engen Abstimmung zwischen öffentlichen und privaten Akteuren hat Dänemark eines der weltweit fortschrittlichsten digitalen Gesundheitsökosysteme aufgebaut. Im Gegensatz dazu steckt die digitale Transformation in Deutschland weiterhin in fragmentierten IT-Landschaften, unvollständigen Implementierungen und isolierten Pilotprojekten fest.


Dänemarks digitale Gesundheitsstrategie: Offene Standards und starke Governance


Ein nationaler Impuls für Gesundheitsdatenintegration

2014 startete Dänemark seine nationale eHealth-Strategie mit dem Ziel, Gesundheitsdaten über Krankenhäuser, Kommunen und HausärztInnen hinweg zu vereinheitlichen. Die Strategie fokussierte sich auf Echtzeit-Datenaustausch, bessere sektorübergreifende Versorgung und mehr Patientensicherheit.


HL7 FHIR als Rückgrat für den Datenaustausch

Um Interoperabilität auf nationaler Ebene zu ermöglichen, setzte Dänemark auf FHIR (Fast Healthcare Interoperability Resources) – einen modernen, API-basierten Standard für Gesundheitsdaten. Auf Basis von RESTful APIs, JSON und modular aufgebauten Ressourcen erlaubt FHIR die Anbindung älterer IT-Systeme an moderne Anwendungen – ganz ohne Komplettaustausch. Dieser flexible Ansatz ermöglichte es, neue Dienste schrittweise zu entwickeln und gleichzeitig die landesweite Interoperabilität sicherzustellen.


Öffentliche Führung, private Umsetzungspartner

Die digitale Transformation wurde maßgeblich von öffentlichen Institutionen vorangetrieben – darunter MedCom (Dänemarks nationale Koordinationsstelle für sektorenübergreifende Gesundheitskommunikation), die für die Standardisierung von Nachrichtenformaten und Schnittstellen verantwortlich ist, sowie die Danish Health Data Authority, die Infrastruktur, Governance und strategische Umsetzung überwacht. Private Technologieunternehmen – etwa Trifork – unterstützten bei spezifischen Projekten, doch Architektur, Standards und Steuerung lagen in öffentlicher Hand. Das Ergebnis: ein sicheres, skalierbares und interoperables digitales Ökosystem.


Interoperabilität in Dänemark – Zugriff auf Gesundheitsdaten landesweit mit FHIR


FHIR bildet heute die Grundlage zentraler Dienste in Dänemark, darunter:

  • das gemeinsame Medikationsregister

  • das E-Rezept

  • das nationale Impfregister

  • elektronische Patientenakten

  • elektronische Überweisungen

  • digitale Pflegekommunikation zwischen Kommunen und Kliniken


Besonders hervorzuheben ist auch das das nationale Gesundheitsinformationsportal "sundhed.dk", welches als Schnittstelle aller Digital-Health-Anwendungen dient. Jeder Däne erhalt bei der Geburt eine Identifikationsnummer, mit der er sich auf dem Gesundheitsinformationsportal einloggen kann, um einen Überblick über die gesamte Krankenhistorie zu erhalten: Jede Diagnose, Behandlung, Medikation, Operationen, Laborwerte etc. sind dort gespeichert.


Mit der Zustimmung der Patienten, können ÄrztInnen in Sekundenschnelle auf vollständige Patientenhistorien zugreifen, sektorübergreifend kommunizieren – und dabei alle Vorgaben der DSGVO einhalten.


Kein Wunder also, dass laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung 89% der dänischen Bürger ihren medizinischen Einrichtungen vertrauen.


Deutschlands Status quo: Zersplitterte Systeme und verpasste Chancen


Ein anderes Bild zeigt sich in Deutschland, wo laut einer Umfrage der Ärzte Zeitung nur 64% der Bürger mit der medizinischen Versorgung zufrieden sind. 71% der Deutschen wünschen sich mehr Tempo bei der Digitalisierung des Gesundheitssystems.


Gleichzeitig herrschen in deutschen Kliniken und Arztpraxen vielerorts weiterhin geschlossene, nicht interoperable IT-Umgebungen. Patientendaten sind über mehrere Subsysteme verteilt – oft ohne einheitliche Schnittstellen:


  • KIS (für Administration und Dokumentation)

  • LIS (für Laborwerte)

  • RIS & PACS (für radiologische Befunde und Bilder)


Wer ein vollständiges Bild der PatientInnen erhalten will, muss mehrere Systeme manuell aufrufen – ein fehleranfälliger, ineffizienter Prozess, der wertvolle Versorgungszeit kostet. Besonders betroffen sind ÄrztInnen, PatientInnen und Wissenschaftlerinnen, die täglich mit den Konsequenzen fehlender Interoperabilität leben müssen.


ISiK: Ein erster Schritt Richtung Interoperabilität


Die gematik ist Deutschlands zentrale Organisation für die Digitalisierung im Gesundheitswesen. Sie verantwortet den Aufbau, Betrieb und die Standardisierung der Telematikinfrastruktur (TI) und definiert verbindliche technische Spezifikationen für digitale Gesundheitsanwendungen. Mit ISiK (Informationstechnische Systeme in Krankenhäusern) hat die gematik einen Standard eingeführt, der FHIR-basierte Schnittstellen in Krankenhäusern vorschreibt. Ziel ist die Standardisierung zentraler Funktionen wie:


  • Patientensuche

  • Diagnosen

  • Medikationsübersicht

  • Vitaldaten

  • Dokumentenmanagement

  • Terminverwaltung


Die Einhaltung der ISiK-Spezifikationen ist verpflichtend, um bundesweit interoperable Strukturen zu schaffen. In der Praxis bleibt die Umsetzung jedoch schleppend und uneinheitlich – auch weil konsequente Durchsetzung fehlt. Viele Anbieter haben ISiK-Schnittstellen nicht vollständig implementiert, andere verlangen hohe Zusatzgebühren für deren Nutzung – das Gegenteil dessen, was mit ISiK erreicht werden soll. Kliniken sehen sich oft überfordert mit Kosten, technischen Hürden und Ressourcenmangel.


Dänemark vs. Deutschland: Interoperabilität im Vergleich


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Die Grafik vergleicht Deutschland und Dänemark in vier Dimensionen der digitalen Gesundheitsversorgung: Digital-Health-Index, politische Aktivitäten, digitale Bereitschaft und tatsächliche Datennutzung. Dänemark schneidet in allen Kategorien deutlich besser ab und erreicht in den meisten Bereichen über 70 %, während Deutschland unter 45 % bleibt – besonders niedrig ist der Wert bei der tatsächlichen Datennutzung (15,8 %). Die Ergebnisse verdeutlichen die fortschrittliche digitale Infrastruktur und Umsetzung in Dänemark im Gegensatz zu Deutschlands langsamer Entwicklung und fragmentierter IT-Landschaft.

Kategorie

Dänemark

Deutschland

Nationale Strategie

Ja, seit 2024

Fragmentiert über Einzelinitiativen

Technischer Standard

HL7 FHIR (vollständig umgesetzt)

HL7 FHIR (im Rollout z.B. über ISiK)

Governance

Öffentliche Institutionen (MedCom, SDa)

Gemischt - Bund, Länder, Fachverbände

Real-Time Data Exchange

Ja, landesweit

Nur in Pilotprojekten

Public-Private-Zusammenarbeit

Enge Koordination

Uneinheitlich in Pilotprojekten

Datenschutz (DSGVO)

Von Beginn an integriert

Von Beginn an integriert


Was Deutschland von Dänemark lernen kann


  1. Strategische Ausrichtung ist entscheidend Dänemarks Erfolg liegt nicht nur in Technologie, sondern in klarer Governance und langfristiger strategischer Abstimmung. Deutschland braucht nicht nur weitere Förderprogramme, sondern eine stringente, nationale Digitalstrategie mit klaren Zuständigkeiten.


  2. Interoperabilität ist Infrastruktur – kein Zusatzfeature Interoperabilität darf kein kostenpflichtiges Extra bleiben. Die Regierung muss einen fairen Zugang und eine faire Preisgestaltung für FHIR-APIs bei allen zertifizierten Anbietern durchsetzen, um endlich den Vendor-Lock-in zu durchbrechen.


  3. Datenschutz und Interoperabilität schließen sich nicht aus Dänemark beweist: Es ist möglich, sicheren und datenschutzkonformen Datenaustausch von Anfang an zu denken – ohne die Versorgung zu behindern.


Der Weg nach vorn für die digitale Transformation im deutschen Gesundheitswesen


  • Referenzarchitekturen entwickeln: Modulare, FHIR-basierte Blueprints für verschiedene Versorgungsszenarien und Regionen.

  • Öffentlich-private Zusammenarbeit stärken: Technologieanbieter, Kliniken, Wissenschaft und Politik auf ein gemeinsames Ziel verpflichten. Firemetrics, eine Ausgründung aus der Uniklinik Essen zeigt, wie private Unternehmen öffentliche Forschungseinrichtungen beim Thema Interoperabilität unterstützen können.

  • Einheitliche nationale Strategie starten: Einzelprojekte und Insellösungen bündeln, Governance zentral verankern, Umsetzung konsequent begleiten.


Dänemarks System zeigt, dass Interoperabilität funktioniert – sicher, effizient und skalierbar


Dänemarks digitales Gesundheitssystem entstand nicht über Nacht. Doch der konsequente, standardbasierte Ansatz beweist: Nationale Interoperabilität ist machbar, ohne Datenschutz, Versorgungsqualität oder klinische Arbeitsabläufe zu gefährden.


Für Deutschland lautet die Frage nicht mehr ob – sondern wie schnell wir das Ziel erreichen.


Quellen & weiterführende Links


HL7 FHIR Overview – HL7 International: https://www.hl7.org/fhir/overview.html


MedCom Denmark: https://www.medcom.dk/


Danish Health Data Authority: https://sundhedsdatastyrelsen.dk/english


German Federal Ministry of Health – Digitalgesetz: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/digitalgesetz


gematik – FHIR in Telematikinfrastruktur: https://www.gematik.de/anwendungen/fhir




 
 
 

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