Firemetrics und FHIR als semantische Schicht für Business Analytics
- Prof. Dr. med. Felix Nensa
- 25. Aug.
- 4 Min. Lesezeit

Gesundheitsdatensysteme sind traditionell stark fragmentiert. Jahrzehntelange lokale Entwicklungen, proprietäre Anbieterstrukturen und Ad-hoc-Integrationen haben dazu geführt, dass Daten oft unzugänglich sind, Integrationskosten hoch bleiben und Analysepipelines fragil wirken. Während Business-Intelligence-Werkzeuge Einblicke versprechen, sind sie häufig von den realen operativen Datenwelten abgekoppelt.
Ein möglicher Ausweg liegt im Konzept der semantischen Schicht. Diese fungiert als strukturierte Schnittstelle, die menschliche Konzepte – wie „Laborergebnis“ oder „Verweildauer“ – in maschinell ausführbare Abfragen übersetzt. Im Gesundheitswesen bietet sich der FHIR-Standard (Fast Healthcare Interoperability Resources) als weltweit akzeptierte, domänenspezifische semantische Schicht an. Firemetrics setzt diese FHIR-Semantik nativ um und macht sie mit Standard-SQL abfragbar. Dadurch entstehen Analysen, die nachvollziehbar, reproduzierbar und zukunftssicher sind.
Was ist eine semantische Schicht?
Eine semantische Schicht befindet sich zwischen Rohdaten und den benutzerorientierten Analysewerkzeugen. Sie standardisiert Benennungen, Beziehungen und Berechnungen und ermöglicht es, komplexe Fragestellungen in klinisch verständlichen Abstraktionen auszudrücken.
Um den Wert zu verdeutlichen, betrachten wir eine Abfrage, mit der Patienten gefunden werden sollen, deren Notaufnahme-Aufenthalte sich zeitlich überlappen – ein Szenario, das für Infektionsverfolgung, Kapazitätsplanung oder Sozialmedizin relevant ist.
🔴 Ohne eine semantische SchichtIn einem Legacy-System könnte eine solche Abfrage wie folgt aussehen:

Um diese Abfrage korrekt interpretieren zu können, muss man wissen:
Dass er_admissions existiert und sowohl Aufnahme- als auch Entlassungszeitpunkte speichert
Dass 'ER' der korrekte Wert für visit_type ist
Dass die Logik für die Zeitüberschneidung manuell über GREATEST/LEAST implementiert werden muss
Dies ist fehleranfällig: Es wird sowohl Fachlogik (was ist ein Notaufnahme-Aufenthalt?) als auch technische Logik (wie berechne ich Zeitüberschneidungen?) direkt in SQL kodiert.
✅ Mit einer semantischen Schicht (FHIR via Firemetrics)
Mit Firemetrics, das Daten in einer FHIR-nativen semantischen Schicht modelliert, sieht dieselbe Logik so aus:

Dabei gilt:
Die Klasse EMER ist kein „magischer String“, sondern ein kontrollierter, international standardisierter Vokabularcode im HL7 ActCode-System. EMER steht für „emergency“:„Ein Patientenkontakt, der in einer spezialisierten Einrichtung der Gesundheitsversorgung stattfindet, in der Patienten mit dringenden oder akuten Problemen behandelt werden.“
In Firemetrics wird dieser Code über fmx_read_code() aufgelöst, wodurch semantische Konsistenz über alle Abfragen und Systemgrenzen hinweg gewährleistet ist. Dies sichert nicht nur die korrekte Interpretation, sondern ermöglicht auch Interoperabilität mit externen FHIR-basierten Systemen und Datensätzen.
Die Zusammenführung von Behandlungszeiträumen ist in range_merge() gekapselt
Die Logik für Zeitüberschneidungen nutzt native PostgreSQL-Operatoren (&&, *)
Klinische Konzepte (Encounter-Klasse, Subjekt, Zeitraum) sind standardisiert und dokumentiert
Das Ergebnis: selbsterklärend, wiederverwendbar und interoperabel. Analysten müssen Logik nicht neu erfinden oder re-implementieren – sie ist bereits in der semantischen Schicht verankert.
FHIR als semantische Schicht
FHIR ist mehr als ein Austauschstandard: Es ist ein semantisches Modell des Gesundheitswesens. Jede Ressource (z. B. Patient, Observation, Encounter) verfügt über klar definierte Felder, Datentypen, Wertemengen und dokumentierte Beziehungen. Damit wird FHIR zu einer maschinenlesbaren Ontologie des Gesundheitswesens.
Die Hauptvorteile sind:
Globale Standardisierung: FHIR ist international anerkannt.
Interoperabilität: Kompatibel mit externen Registern, Forschungsplattformen und öffentlichen Gesundheitssystemen.
Semantische Klarheit: Eindeutige Definitionen verringern Mehrdeutigkeiten.
Ökosystem: Ausgereifte Bibliotheken, Validatoren und Entwickler-Communities.
Firemetrics nutzt diese Eigenschaften und überführt FHIR in ein relationales, mit etablierten Technologien wie PostgreSQL abfragbares Modell.
Beispiel: Skalierung über eine Klinikkette

Betrachten wir eine Klinikkette mit 30 Standorten. Jeder Standort hat im Laufe der Zeit sein eigenes Datenspeichersystem entwickelt – mit unterschiedlichen Anbietern und proprietären Formaten. Business-Intelligence über alle Standorte hinweg wird dadurch extrem schwierig. Ohne ein gemeinsames Modell müsste die Organisation ihre eigene semantische Schicht erfinden und jedes Versorgungskonzept manuell abbilden. Dies mag mit wenigen Standorten und einer überschaubaren Anzahl an Systemen zunächst funktionieren, doch sobald weitere Kliniken übernommen oder neue Systeme integriert werden müssen, wächst die Komplexität exponentiell.
FHIR ändert diese Dynamik grundlegend. Zwar ist die anfängliche Arbeit, jedes System in FHIR zu überführen, weiterhin erforderlich, aber sie ist eine einmalige strategische Investition in ein semantisches Modell, das von den führenden Experten weltweit entwickelt wurde. FHIR berücksichtigt praktisch jede Patient Journey und jeden Use Case im Gesundheitswesen und ist damit das umfassendste und robusteste Datenmodell am Markt. Dadurch können neue Systeme konsistent angebunden werden, anstatt immer wieder fragile, individuelle Mappings zu entwickeln.
Langfristig verstärkt sich der Nutzen: Immer mehr Gesundheitssysteme bieten native FHIR-APIs an. Wenn die Klinikkette wächst, wird die Anbindung neuer Systeme dadurch erheblich einfacher – oft reicht eine direkte FHIR-Verbindung anstelle komplexer ETL-Prozesse.
Firemetrics: FHIR mit SQL abfragen
Firemetrics stellt FHIR-modellierte Daten in einer Struktur bereit, die mit SQL-basierten Tools kompatibel ist – ohne dass eine neue Abfragesprache erlernt werden muss. So können FHIR-Ressourcen direkt über gängige BI-Tools oder auch Python-Notebooks analysiert werden.
Beispiel: Um alle Patienten zu zählen, die 1995 geboren sind, gruppiert nach Geschlecht, genügt eine einfache SQL-Abfrage:

Oder zur Berechnung der durchschnittlichen Verweildauer stationärer Aufenthalte:

Diese „semantische Abflachung“ überbrückt die Kluft zwischen klinischen Systemen und Analysen.
Business Value: FHIR + Firemetrics als strategische Architektur

Kurzfristig
Geringer ROI, wenn bestehende Systeme funktionieren und Datenmengen überschaubar bleiben
Technische Stakeholder könnten Komplexität oder Redundanz kritisieren
Mittelfristig
Kostenreduktion, da Systeme zunehmend FHIR übernehmen (weniger Mapping, weniger Code)
Vermeidung von Nacharbeiten bei neuen regulatorischen Anforderungen, Reporting oder Forschung
Einfacheres Onboarding: Neue Entwickler, Analysten und Forscher profitieren von Standard-FHIR-Dokumentation und Tools
Langfristig
Strategische Flexibilität: FHIR entkoppelt Analysen von anbieterspezifischen Datenmodellen
Resilienz: Unabhängig davon, ob Systeme weiterentwickelt, Anbieter gewechselt oder neue KPIs definiert werden – die semantische Basis bleibt stabil
Kultureller Wandel: Firemetrics ermöglicht den Schritt von reaktivem Reporting zu proaktiver Analyse
Vereinfachtes Onboarding von Mitarbeitern
Ein oft unterschätzter Kostenfaktor beim Betrieb einer eigenen semantischen Schicht ist das Onboarding neuer Mitarbeiter. Muss ein Unternehmen auf ein selbst erfundenes Datenmodell zurückgreifen, müssen neue Analysten oder Entwickler dieses erst mühsam verstehen. Dokumentationen sind oft lückenhaft, und die ursprünglichen Ersteller möglicherweise nicht mehr verfügbar.
FHIR beseitigt diese Hürde. Da es global standardisiert und umfassend dokumentiert ist, können sich neue Mitarbeiter schnell einarbeiten – unterstützt durch zahlreiche Lernressourcen, Tutorials und Communitys. Sobald sie FHIR verstanden haben, können sie sofort nachvollziehen, wie die Systeme des Unternehmens in das Modell integriert wurden. Dies reduziert die Einarbeitungszeit, senkt die Abhängigkeit von internen Experten und stellt sicher, dass Wissen erhalten bleibt – auch wenn sich das Personal verändert.
Fazit
FHIR als semantische Schicht verwandelt Gesundheitsdaten in eine wiederverwendbare, verständliche und leistungsfähige Grundlage für Analysen. Firemetrics macht dieses Modell durch SQL unmittelbar nutzbar. Im Vergleich zu fragilen ETL-Prozessen bietet die Kombination aus FHIR und Firemetrics einen klaren strategischen Vorteil:
Geringere Integrationskosten
Zukunftssichere Interoperabilität
Schnellere Analysen
Kulturelle und technische Kontinuität
Firemetrics ist damit nicht nur eine Infrastrukturentscheidung, sondern eine Strategie für geschäftliche Resilienz.
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